Plakatwelt

Zu den Bildern

„Plakatwelt“ besteht aus etwa hundertzehn Fotos, aufgenommen in den Jahren 1995 bis 2003 in Berlin.

Die Fotos zeigen Plakat-Decollagen, die ich im öffentlichen Raum gefunden habe. Weder die Objekte noch die Bilder habe ich verändert. Die Decollagen sind durch Akte beiläufiger Zerstörung entstanden oder durch Verwitterung. Sie sind flüchtig; meist verschwinden sie sehr schnell, werden weiter zerstört oder überklebt.

Das Wort „Plakatwelt“ stammt von Max Bense. Es ist seine Metapher für die postmoderne Großstadt. Ihre Kunst beschreibt er als eine Kunst der Oberfläche, im Gegensatz zu einer vormodernen Kunst der „Tiefe“. In der Plakatwelt ist das Medium die Botschaft. Schaut man hinter die medialen Oberflächen, dann zeigen sich wieder nur Oberflächen. Selbst deren Schichtungen, deren Hinter- und Untergründe ergeben keine „tiefere Bedeutung“, sie spiegeln nur sich selber wider.

In diesem Selbstbezug liegt eine Analogie zu den in der Plakatwelt versprengten Menschen. Isoliert in der großstädtischen Unübersichtlichkeit, sind sie auf Selbstdarstellung festgelegt – auf Werbung in eigener Sache, wie Plakate. In den Plakatwelt-Menschen steckt laut Bense kein festes Ich, sondern ein Übereinander fragmentierter Vorlagen, ein Klischee-Wirrwarr. Diese Mixturen entstehen ohne Plan, sie sind Zufallsprodukte. Sie entstammen einer ausufernden, allgegenwärtigen Warenwelt.

Die Plakat-Decollagen spiegeln ihre Urheber. Mit ihrer Buntheit, vielfältigen Form-Kombinatorik und schillernden Vergänglichkeit symbolisieren sie Individualität. Diese Individualität ist verletzlich, aber schön. (Es ist nicht nötig, sie durch Zukauf von Waren oder sonstige kosmetische Behandlungen aufzuwerten.)

Die heutige Stadt ist – noch stärker als zu Benses Zeit – eine Kampfzone, in der um Aufmerksamkeit gerungen wird. Die Städte sind mit Signalwörtern und -bildern durchsetzt, die die Hirne erobern, sich gegenseitig verdrängen, wieder neuen weichen. Die „Plakatwelt“-Decollagen sind Überlebende des allgegenwärtigen Werbe-Kriegs. Man kann dem nicht entkommen, aber man kann sich abgrenzen: durch genaues Hinsehen. Zu besichtigen sind: Symbole des fragmentierten Ichs.